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Schwarzer Schatten

aus  Follas Novas (Neue Blätter)
übersetzt von Nuno Oliveira

 

Wenn ich denke, dass du gegangen bist,

du mich beschattender dunkler Schatten,

kommst du zu meinen Kopfkissen zurück

und verspottest micho

Wenn ich mir einbilde, dass du vergangen bist,

zeigst du dich mir in derselben Sonne.

Und du bist der Stern, der leuchtet.

Und du bist der Wind, der pfeift.

Wenn sie singen, bist du es der singt;

wenn sie weinen, bist du es der weint;

und du bist das Murmeln des Flusses,

und du bist die Nacht, und du bist die Morgenrote.

In allem bist du, und du bist alles

für micho Und in mir selbst wohnst duo

Auch wirst du mich niemals verlassen,

du mich immer beschattender Schatten.

Rosalia auf Deutsch: rosaliadecastro.de #RosalíaDeCastroTage #mobilizaRosalia

 

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„ONE BIG WORLD OF SONGS“: ZUR #GALICISCHPORTUGIESISCHEN LYRIK UND EINIGEN TRANSKULTURELLEN ECHOS (XII). Bibliographie #BOBDYLAN #GALICISCHPORTUGIESISCHELYRIK

von Nils Tremer

 

Bibliographie

Alvar, Carlos: Locus amoenus. antología de la lírica medieval de la península ibérica ; (latín, árabe, hebreo, mozárabe, provenzal, galaico-portugués, castellano y catalán). Galaxia Gutenberg, Círculo de Lectores: Barcelona, 2009.

Ball, Gordon: “Bob Dylan and the Nobel”. In: Oral Tradition. 2007. Volume 22, Number 1.

Detering, Heinrich: Bob Dylan. Reclam: Stuttgart, 2009.
Detering, Heinrich. Die Stimmen aus dem Limbus. Bob Dylans späte Song Poetry.

Carl Friedrich von Siemens Stiftung: München, 2012.

Dylan, Bob. Writings and Drawings.Cape: London, 1973.

Gaier, Ulrich. „Kommentar und Nachwort“. In: Johann Gottfried Herder: Werke in zehn Bänden. Band 3: Volkslieder, Übertragungen, Dichtungen. Hrsg. von Ulrich Gaier. Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag, 1990.

García, Santiago Gutiérrez: Clerics, Troubadours and Damsels: Galician Literature and Written Culture during the Middle Ages, in: A Companion to Galician Culture. Ed. Helena Miguélez-Carballeira. Tamesis: Woodbrige, 2014.

Herder, Johann Gottfried. Von deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Blätter. Hrsg. von Karl-Maria Guth. Hofenberg: Berlin, 2014.

Heylin, Clinton. Bob Dylan:Behind The Shades. The 20th Anniversary Edition. Faber and Faber: London, 2011.

Hoffman, Tyler: American Poetry in Performane. From Walt Whitman to Hip Hop. University of Michigan Press: Ann Arbor, 2013.

Kasten, Ingrid. „Einleitung“. In: Frauenlieder des Mittelalters. Hg. von Ingrid Kasten. Reclam: Stuttgart, 1990.

Klink, Anne L.: Woman’s Song in Medieval Western Europe, in: Medieval Oral Literature. Ed. Kart Reichl. De Gruyter: Boston/Berlin, 2012.

Ossa Martinez, Marco Antonio de la. „García Lorca: La Música y las Canciones Populares Españolas“. In: Alpha. 2014, n.39, pp. 93-121. Online verfügbar: http://www.scielo.cl/scielo.php?pid=S0718-22012014000200008&script=sci_arttext [Aufgerufen am 14.08.2015]

Ricks, Chriostpher. Dylan’s Vision of Sin. HarperCollins: New York, 2003.

Rölleke, Heinz. „’Des Knaben Wunderhorn’—eine romantische Liedersammlung: Produktion—Distribution—Rezeption.“ In: Das „Wunderhorn“ und die Heidelberger Romantik: Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Performanz. Max Niemeyer Verlag: Tübingen, 2005.

Rückert, Friedrich. Erzählungen/Wanderungen/Pantheon. CreativeSpace Independent Publishing Platform: North Charleston, 2013.

Schiwy, Günther. Eichendorff. Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie. C.H. Beck: München, 2000.

Schlegel, Friedrich. „116. Athenäum-Fragment“. In: Kritische Friedrich-Schlegel- Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler. Bd. 2: Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801). Thomas: Leipzig, 1967.

Shakespeare, William. Twelfth Night. Ed. Roger Warren and Stanley Wells. Oxford University Press: Oxford, 1994.

The Holy Bible: The Authorized King James Version. Oxford University Press: Oxford, 1989.

Wordsworth, William. Selected Prose. Ed. John O. Hayden. Penguin: Harmondsworth, 1988.


Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
Bibliographie

„ONE BIG WORLD OF SONGS“: ZUR #GALICISCHPORTUGIESISCHEN LYRIK UND EINIGEN TRANSKULTURELLEN ECHOS (X). Konklusion #BOBDYLAN #GALICISCHPORTUGIESISCHELYRIK

   
  

von Nils Tremer

5. Konklusion

Der Sprung von der galicisch-portugiesischen Lyrik im Mittelalter zum Werk von Bob Dylan mag auf den ersten Blick ein Weiter sein, doch hofft diese Arbeit gezeigt zu haben, dass bei genauerem Hinsehen und mit Hilfe einiger unterstützender Brückenpunkte sehr wohl Bezüge zwischen diesen zwei zeitlich und sprachlich weit voneinander entfernten Künsten bestehen. Ausgehend von der kulturellen Vormachtstellung Galiciens wurde die galicisch-portugiesischen Lyrik im Mittelalter in Form ihrer drei Genres charakterisiert und voneinander unterschieden. Vom besonderen Interesse waren die cantigas de amigo, die im Gegensatz zu den formell komplexen und den höfischen cantigas de amor sich offen zeigten für den Einfluss der populären Dichtung der Zeit und so auch eine weitere Verbreitung fanden, die über die höfischen Mauern hinaus ging. Ähnliches war z.B. in Deutschland (Frauenlied) und in Frankreich (chansons dem femme) zu beobachten. Der zweite Teil der Arbeit widmete sich dem Fortbestehen der Verbindung von Dichtung und Musik, die besonders oft in der Popularkultur zu finden ist. Exemplarisch wurde hierfür das Interesse der europäischen Romantik an der Volksdichtung und dem Volkslied, ausgehend von Herders Schriften, aufgeführt. Auch das auf ersten Blick vielleicht ungewöhnliche Fortbestehen dieses Interesses in der Moderne konnte bei Künstlern wie García Lorca, Ezra Pound oder auch den Beats nachgewiesen werden. Als Endpunkt dieser transkulturellen Echos wurde das Werk von Bob Dylan herangezogen, in dem Dichtung und Musik erneut kunstvoll zusammengeführt wurden und dessen Werk, wie die cantigas de amigo, gleichermaßen offen für sowohl Hoch-als auch Popularkultur ist, wie exemplarisch mit Hilfe seiner Songs „Song to Woody“, „A Hard Rain’s a-gonna fall“ sowieso seiner Theme Time Radio Hour skizziert wurde.

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
Bibliographie

„ONE BIG WORLD OF SONGS“: ZUR #GALICISCHPORTUGIESISCHEN LYRIK UND EINIGEN TRANSKULTURELLEN ECHOS (IX). Bob Dylan—ein moderner Troubadour? #GALICISCHPORTUGIESISCHELYRIK

 

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von Nils Tremer

 

4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?

 

Der Sprung von der Beat Generation zu Bob Dylan ist ein kleiner, denn die Beats sahen im Werk von Dylan die Fortsetzung ihrer eigenen oben skizzierten Ziele. Insbesondere Allen Ginsberg, zeit seines Lebens Freund und Unterstützer Dylans, befürwortete Dylans Kunst. „’Dylan has returned poetry to song’, hat Allen Ginsberg bemerkt. Dieser Satz gilt auch in seiner Umkehrung: Dylan has returned song to poetry“ (Detering, 2012: 8f.). Dylan hat es wie kaum ein anderer geschafft, als selbst erklärter „song and dance man“, die getrennten Kunstformen von Dichtung und Song, die in der mittelalterlichen Dichtung zusammengehörten und die seit der Romantik bemüht wurden, zu vereinen, wieder harmonisch zusammenzuführen. Aus diesem Grund unterstütze Ginsberg Dylans erste, und seitdem jährliche, Nominierung zum Literaturnobelpreis im Jahr 1997: „Dylan is a major American Bard & minstrel of XX Century, whose words have influenced many generations throughout the world. He deserves a Nobel Prize in recognition of his mighty & universal poetic powers” (Ginsberg in Ball, 2007: 22).

Doch nicht nur die Wiedergewinnung der Mündlichkeit verbindet Dylan mit den bisherigen Ausführungen, auch ist Dylan gleich den Dichtern der cantigas de amigo oder den Romantikern ein populärer Poet. Nicht nur in dem Sinne, dass er „to the whole population“ gehört, sondern auch mit Bezug auf das Material, das seine Songs speist. Dylan ist, gleichsam wie García Lorca, ein Tresor der populären Musik; Alben wie Good As I Been to You oder World Gone Wrong, auf denen er traditionelle Balladen oder Bluessongs spielt, bezeugen seine Liebe zu dieser Musik. Diese Faszination spiegelt sich natürlich auch im eigenen Werk wieder, in denen er, gleich den Romantikern, mitunter ganz im Stile seiner Quellen schreibt. So leiht Dylan in „Song to Woody“, einer Hommage an Dylans frühem Helden Woody Guthrie und einer der ersten Songs, die Dylan geschrieben hat, sich nicht nur die Melodie eines Woody Guthrie Songs aus, sondern auch stock phrases der amerikanischen Folkmusic und ganze Zeilen aus verschiedenen Songs von Guthrie, um so den Ton und die zeitlose Qualität dieser Songs genau zu treffen. Ein anderes Verfahren ist in „A Hard Rain’s a-gonna fall“ zu beobachten. Auch hier ist Dylans Ausgangspunkt ein traditioneller Song: die Ballade „Lord Randall“ aus den von Francis James Child gesammelten Child Ballads. Diese Ballade besteht aus einer Vielzahl von Strophen mit folgender Struktur:

O where ha you been, Lord Randall, my son?
And where ha you been, my handsom young man?
I ha been at the greenwood; mother, mak my bed soon,
For I’m wearied wi hunting, and fain wad lie down (in Ricks, 2003: 331)

Diese Struktur wird beigehalten; eine Frage wird zweimal gestellt, auf diese wird kurz geantwortet—„mak my bed soon“, der zweite Teil der dritten Zeile bleibt immer erhalten—und die letzte Zeile, in der die Erschöpfung ausgedrückt wird, bleibt gleich. Dylan greift die Fragestruktur diese Ballade als strukturierendes Element in seinem Song auf, erweitert jedoch den Teil der Antwort und etabliert einen eigenen Refrain:

Oh, where have you been, my blue-eyed son?
Oh, where have you been, my darling young one?
I’ve stumbled on the side of twelve misty mountains
I’ve walked and I’ve crawled on six crooked highways I’ve stepped in the middle of seven sad forests
I’ve been out in front of a dozen dead oceans
I’ve been ten thousand miles in the mouth of a graveyard And it’s a hard, and it’s a hard, it’s a hard, and it’s a hard And it’s a hard rain’s a-gonna fall (Dylan, 1973: 38)

Was „A Hard Rain’s a-gonna fall“ zeigt ist, im Gegensatz zu der Imitation einer Naturpoesie wie z.B. in „Song to Woody“, eine Verbindung der Naturpoesie mit einer Kunstpoesie. Denn die Antwort auf die von der Child Ballade entwendeten Frage ist keineswegs eine Dichtung wie man sie in der amerikanischen Folkmusik finden würde. In diesem Song „Dylan encapsulated the magic and mystery of a five- hundred-year-old ballad, the deep dark truths of Dante, and the apocalyptic symbolism of the French poets and the beats into six and a half minutes of sheer terror“ (Haylin, 2011: 102). Diese Art von Dichtung sah Friedrich Schlegel auch vor in seinem Verständnis einer allesumfassenden romantischen Dichtung:

 

Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen […] (Schlegel, 1967: 182; meine Kursivsetzung zur Betonung)

Dylans Kunst ist, wie an diesen wenigen Beispielen dennoch hoffentlich aufgezeigt werden konnte, oft Kunst einer zweifelsfrei sehr idiosynkratischen Aneignung. Gleichsam wie die cantigas de amigo offen waren für den Einfluss populärer Lyrik, so ist auch Dylans Werk offen für Einflüsse der Hoch-und Popularkultur: „it’s all endless/ an’ its all songs/ it’s just one big world of songs/ and they’re all on loan“ (Dylan, 1973: 110). Diese Elemente werden, wie oben exemplarisch aufgezeigt, dann neu in seinen Songs verbaut: „Yes, I am a thief of thoughts /not, I pray, a stealer of souls / I have built an’ rebuilt […]“ (ebd., 106). Es sind Diebstähle aus Liebe— “Love&Theft“, wie es das Album aus dem Jahr 2001 nannte.

Als letztes Beispiel für die oben bereits aufgezeichnete Vermischung von Hoch-und Popularkultur soll noch Dylans Theme Time Radio Hour genannt werden, das Detering (2009: 211ff.) wunderbar mit dem „Wunderhorn“ der deutschen Romantik vergleicht. In dieser Radiosendung moderiert von Dylan, angelehnt an das Radio der 40er und 50er, bildet jedes Sendung eine Anthologie aus Songs, literarischen Texten und eigenen Kommentaren zu einer Vielzahl von (oft archetypischen amerikanischen) Themen. Auf diese Weise entsteht eine „Dylan’sche Version des amerikanischen Poesiealbums“ (ebd., 218), ein kulturelles Archiv, in dem Popularkultur und Hochkultur gleichberechtigt nebeneinander stehen:

Die Unterschiede zwischen Poesie und Songs ebenso zu überspielen wie die zwischen Hoch-und Popularkultur wurde bald zu einem leitenden Prinzip. Schon von den ersten Sendungen an behandelte Dylan naive Songtexte mit demselben Ernst wie die Poesie Eliots und Dickinsons und entdeckte so eine Poesie, von der die großen Anthologien nichts wissen. ‚Let’s hear one now from the poet laureate of love in Texas’, sagte er zur Einführung von Buddy Hollys ‚Peggy Sue’ und zitierte dann zwei Verse, in einem ernsthaft staunenden Tonfall: ‚If you knew Peggy Sue / Then you knew why I feel blue.’ Für einen Moment trat Peggy Sue neben Annabel Lee: Es war derselbe Ton, in dem Dylan beide rezitierte (ebd., 219).

Bereits der bewusst in Anführungszeichen gesetzte Titel verweist auf den zitathaften Charakter und verweist in der Tat auf Eric Lotts Love&Theft: Blackface Minstrelsy and the American Working Class, das sich seinerseits mit der Aneignung der schwarzen Kultur— Musik, Tanz, Humor, etc.—von der weißen Bevölkerung auseinandersetzt.

 

Und es ist die Magie des Songs—der Form, die den Ausgangspunkt dieser Arbeit darstellte und dessen Fortbestehen durch einige Exemplare weiter aufgezeigt werden sollte—die diese Überspielung der Unterschiede zwischen den zwei Kulturen erlaubt:

Der romantische Zauber der Songs bindet wieder, was die akdemische Mode streng geteilt: Musik und Historie, Literatur und Reklame, Hochkultur und Alltag. Im Song sind hier nicht nur Musik und Poesie, sondern auch Poesie und Wissen noch ungeschieden. Es ist die archaische, in mehrfachem Sinne reine Ausdrucksform einer anonymen Popularkultur selbst […] (ebd., 224).

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
Bibliographie

„ONE BIG WORLD OF SONGS“: ZUR #GALICISCHPORTUGIESISCHEN LYRIK UND EINIGEN TRANSKULTURELLEN ECHOS (VIII) #BOBDYLAN #GALICISCHPORTUGIESISCHELYRIK

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von Nils Tremer

3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?

Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen, dass die Moderne den langen Blick zurück ins Mittelalter wirft, doch „Neo-troubadour asthetics and themes persisted in a variety of forms during the early twentieth century when avant-garde experimentalism was torn by constant tension between new and traditional forms“ (Garcia, 2012: 29). Als Beispiel dieser Strömungen ist aus der spanischsprachigen Literatur z.B. das Werk von García Lorca zu nennen, für den die Musik, und insbesondere die canciones populares, eine besondere Stellung einnahmen. Er reiste durch Spanien, gleich den Romantikern, um Lieder zu sammeln und sog, ähnlich wie Dylan später es in seinen frühen Jahren in New York nachgesagt wurde, sie in sich auf: „La memoria de Lorca es el más rico tesoro de la canción popular andaluza. Él ha recogido muchas, letra y canto, directamente“ (Guillén in Ossa Martinez, 20143). Selbstverständlich hat eine solch intensive Auseinandersetzung natürlich auch den Weg in das eigene Werk gefunden und unübersehbare Spuren hinterlassen.

De este organismo —el pueblo— que en España ha mantenido incontaminados e intactos sus principios culturales, se nutre gran parte de la obra de Federico García Lorca, tanto en su esfera poética (“Romancero gitano”, “Poema del cante jondo”, etc.) como en su ámbito escénico en el que, sus personajes, o son gente del pueblo (“Yerma”, “Bodas de sangre”) o es de raíz popular su intención y montaje técnico (“El Retablo de Don Perlimplín”) o tiene a la mentalidad de todo un pueblo como protagonista (“La casa de Bernarda Alba”) (Gorina in Ossa Martinez, 2014).

Auch ist es wenig überraschend, dass für einen Befürworter der Musik wie García Lorca die Idee der Lebendigkeit, Mündlichkeit und der Performanz, einer aktiven Interpretation und nicht, wie Herder es oben formuliert hatte, „tote Letternverse“, ein entscheidendes Kriterium war:

Todas las artes son capaces de duende, pero donde encuentra más campo, como es natural, es en la música, en la danza y en la poesía hablada, ya que estas necesitan un cuerpo vivo que interprete, porque son formas que nacen y mueren de modo perpetuo y alzan sus contornos sobre un presente exacto” (García Lorca in Hoffman, 2013: 1)

Auch Ezra Pound war fasziniert von der Verbindung von Musik und Literatur aus früherer Zeit. Im Gegensatz zu Lorca jedoch war Pound, getrieben von einem elitären Modernismus, weniger interessiert an der populären Dichtung, sondern begeistert von den provenzalischen Troubadouren, über die er in The Spirit of Romance schrieb und, wie McDougal in seiner Studie Ezra Pound and the Troubadour Tradition belegt, natürlich auch den Weg in sein eigenes Werk gefunden hat. Für ihn gewann die frühe Dichtung vor allem aufgrund der engen Verbindung von Musik und Dichtung an Qualität:

Both in Greece and in Provence the poetry attained its highest rhythmic and metrical brilliance at times when the arts of verse and music were most closely knit together, when each thing done by the poet had some definite musical urge or necessity bound up within it […] (Pound in Ball, 2007: 16)

Deshalb schlug er für das Studieren vergangener Lyrik, die gedichtet und gesungen wurde, wie z.B. die mittelalterliche galicisch-portugiesische Lyrik in all ihren Formen, Folgendes vor:

For practical contact with all past poetry that was actually sung in its own day I suggest that […] universities combine in employing a couple of singers who understand the meaning of words […] A half-dozen hours spent in listening to the lyrics actually performed would give the student mire knowledge […] than a year’s work in philology (ebd.).

Im Anbetracht dieser Überlegungen ist es wenig überraschend, dass sein Langgedicht schon im Titel—The Cantos—diese musikalische Komponente unterstreicht.

Auch die Beats, wenngleich sie mit dem Elitismus eines Ezra Pound wenig gemeinsam hatten, verfolgten ein ähnliches Ziel: die Revitalisierung der Dichtung durch ihre Performanz. In diesem Unterfangen glichen sie vor allem der Romantik, die die Poesie wieder im Volk verbreiten wollte. Die Gemeinsamkeiten zwischen Wordsworths oben erwähnter Forderung, dass „the Poet must descend from his supposed height“ und Ferlinghettis folgendem Postulat sind unübersehbar:

The poetry which has been making itself heard here of late is what should be called street poetry. For it amounts to getting the poet out of the inner esthetic seclusion where he has too long been contemplating his complicated navel. It attributes to getting poetry back into the street where it once was, out of the classroom, out of the speech department, and—in fact—off the printed page (Ferlinghetti en Hoffman, 2013: 121).

Dieser Forderung gefolgt sind z.B. Allen Ginsberg, der nicht nur sein wohl bekanntestes Gedicht „Howl“ nicht schriftlich, sondern es 1955 beim Six Gallery Reading mündlich präsentierte und im Folge des Ruhms das Gedicht im ganzen Land las. Auch hat er im Laufe seiner Karriere seine Dichtung vertont, unter anderem in Kollaboration mit Bob Dylan oder Paul McCartney. Auch zu nennen ist Jack Kerouac, dessen Dichtung nicht nur von den treibenden Rhythmen des Jazz beeinflusst wurde, sondern auch seine Werke zu eben dieser Musik vorlas und so die Literatur „off the printed page“ nahm und sie mit Musik untermalt las.

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
Bibliographie

„ONE BIG WORLD OF SONGS“: ZUR #GALICISCHPORTUGIESISCHEN LYRIK UND EINIGEN TRANSKULTURELLEN ECHOS (VII) #BOBDYLAN #GALICISCHPORTUGIESISCHELYRIK

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Willian Wordsworth


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Rosalía de

Castro 

 

von Nils Tremer

 

3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur als Träger des Volksgeistens

Spricht man vom romantischen Interesse an Volksliedern, so führt kein Weg an Herder vorbei. Fasziniert von dem volksliedhaften Ton des Ossian sowie von Percys Reliques of Ancient Poetry widmete sich Herder dieser Dichtung und plante eine Sammlung, zu deren Hilfe er auch den jungen Goethe in Straßburg hinausschichte, um Lieder aus dem Volke zu sammeln. Die Erträge dieser Expedition wären spärlich: „Goethe machte die Erfahrung, daß die jungen Leute nur Schlager sangen und allein bei den ältesten Mütterchen alte Lieder zu finden waren“ (Gaier in Herder, 1990: 893). War das Sammeln dieser Lieder wenig fruchtbar, so war der Effekt jedoch in Goethes früher Sturm und Drang Lyrik wie z.B. dem „Mailied“ oder auch dem „Heideröselein“—auch bekannt als „Sah ein Knab ein Röslein stehen“—an der trügerischen Simplizität und dem volksliedhaften Ton dieser Dichtungen zu spüren. Diese Lyrik stellte für die deutsche Romantik später eine große Inspiration dar.

Herder veröffentlichte mehrere Sammlungen und im Vorwort zu Von deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Blätter sprach er wie folgt über die gesammelten Lieder: „Je entfernter von künstlicher, wissenschaftlicher Denkart, Sprache und Letternart das Volk ist: desto weniger müssen auch seine Lieder fürs Papier gemacht, und tote Letternverse sein” (Herder, 2014: 7). Hier lässt sich nicht nur die im Lied die lebendige Wiedervereinigung von Poesie und Musik, wie es in der mittelalterlichen Lyrik einst war, wiedererkennen, auch ist die Befürwortung einer populären Dichtung (gleich den cantigas de amigo) zu beobachten. Diese Befürwortung des Populären geht einher mit der Ablehnung einer „künstlichen, wissenschaftlichen“ Dichtung, denen wohl eher die formell stilisierten, für einige wenige Gesellschaftsgruppen gedichteten cantigas de amor gleichen würden.

Die Romantiker Achim von Arnim und Brentano folgten dem Ideal Herders und veröffentlichten Des Knaben Wunderhorn, eine Sammlung alter deutscher Lieder, die den V olksgeist der Nation widerspiegeln und eine reine V olkspoesie darstellen sollte. Die romantische Idee der Dichtung aus dem Volk wurde von Friedrich Rückert in seinem Gedicht „Naturpoesie“ in den ersten zwei Zeilen knapp und treffend beschrieben: „Das Schönste ward gedichtet/von keines Dichters Mund“ (2013:76). Heutzutage ist jedoch bekannt, dass im „Wunderhorn“ nicht nur gesammelte Lieder zu finden sind, sondern auch versuchte Imitationen dieses Stils, also romantische Fälschungen. Wenn es z.B. bei einigen Liedern heißt, dass sie „in der Spinnstube eines hessischen Dorfs“ aufgeschrieben wurde, so kann dies wohl kaum „heimeliger, erd-und volksverbundener“ (Rölleke, 2005: 7) erscheinen. Doch weiß man heute um die Eigendichtungen von Achim von Arnim und Brentano. „’In einer Spinnstube aufgeschrieben’ kann also bestenfalls bedeuten: ‚Von mir nach Art der Spinnstubenlieder (um)gedichtet’; ‚in meinem Besitz’: ‚aus meinem poetischen Vermögen geschöpft’“ (ebd.). Einige dieser romantischen Fälschungen waren so überzeugend, dass man glaubte, dass sie tatsächlich uralte Volkslieder wären. Ein besonderes Talent für den Volkston hatte z.B. Joseph von Eichendorff, dessen „In einem kühlen Grunde“ wohl als das perfekte Beispiel für die Imitation dieses Stils gilt (vgl. Schiwy, 2000: 233ff.).

Dieses Phänomen beschränkte sich allerdings nicht nur auf die deutsche Romantik, sondern lässt sich vielerorts in Europa vorfinden. Wordsworth z.B. schrieb in seinem Preface zu den Lyrical Ballads, dass „the Poet must descend from this suppoesed height, and, in order to excite rational sympathy, he must express himself as other men express themselves“ (Wordsworth, 1988: 280). Wieder einmal kann man die Befürwortung der natürlichen Sprache des Volkes und ihrer großen Expressivität durch ihre trügerische Einfachheit beobachten. Auch thematisch gleichen viele Gedichte dieser Sammlung dem ländlichen Hintergrund, der auch in den cantigas de amigo vorzufinden ist: „Low and rustic life was generally chosen because in that conditionm the essential passions of the heart […] speak a plainer and more emphatic language“ (ebd., 282).

In Schottland sammelte und dichtete Robert Burns viele Lieder, den Stil der alten Lieder imitierend, und etablierte somit den eigenen schottischen Dialekt, typisch für die Romantik, als Dichtersprache. Ähnliches ereignete sich, wie García (vgl. 2014: 28) ausführt, auch in Galicien. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem Rexurdimento, wurde die eigene mittelalterliche Vergangenheit und die eigene Sprache wiederentdeckt, wiederbelebt und gefestigt. Antonio de Iglesia z.B. veröffentlichte El idioma gallego: su antigüedad y vida und die Gedichtsammlung Cantares gallegos von Rosalía de Castro zeigt, wie bereits in den anderen Literaturen der Romantik aufgezeigt, ein Orientieren an der Vergangenheit als Basis der eigenen Literatur; Rosalía de Castro gesteht bereits im Prolog, dass sie sich an den populären cantigas orientiert habe.

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1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
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von Nils Tremer

3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit

Nachdem nun oben die drei Hauptgenre der galicisch-portugiesischen Lyrik des Mittelalters beschrieben wurden, soll nun im zweiten Teil der Arbeit skizzenhaft aufgezeigt werden wie die Ideen der Performanz, der Mündlichkeit (von Liedern) sowie der Volkspoesie die Zeit überdauert haben und auch in der Geschichte nach dem Mittelalter immer wieder aufgegriffen wurden. Dazu werden Beispiele aus verschiedenen Literaturen aufgegriffen; den Ausgangspunkt stellt die europäische Romantik dar.

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1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
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von Nils Tremer

 

2.3 Die cantigas de amigo

The spinsters and the knitters in the sun,

And the free maids that weave their thread with bones,

Do use to chant it. It is silly sooth,

And dallies with the innocence of love,

Like the old age (II, iv, 41-47)

Der Herzog aus Shakespeare’s Twelfth Night (1994) scheint hier wohl nach einem Woman’s Song, einem Frauenlied oder auch chansons de femme zu fragen: Einem Genre, das eine weite Verbreitung im mittelalterlichen Europa hatte, jedoch erst später die oben genannten Termini zugewiesen bekommen hat. Dies ist nicht weiter überraschend, da diese populäre Form der Poesie nicht die gleiche theoretische Beachtung und Analyse genoss wie die lateinische Lyrik. Lediglich der Begriff cantiga de amigo—auch wenn er nicht vollständig gleichzusetzen ist mit der obigen Reihe, so hat er doch vieles mit ihnen gemeinsam—war auch schon zu der Hochzeit dieser Form oder nur wenig später geläufig (vgl. Klinck, 521ff.).

Die cantigas de amigo gelten als die charakteristischste Form der galicischportugiesischen Lyrik. Jedoch ist es aufgrund der Mischung von Elementen der preTroubadour-Lyrik und der höfischen Lyrik in den cantigas de amigo schwerer allgemeine Charakteristika zu formulieren, da sie im Gegensatz zu den sehr uniformen cantigas de amor ein deutlich homogeneres Genre bilden (vgl. Garcia, 2014: 20). Eine wenige Eigenschaften sollen dennoch erwähnt werden.

Auch wenn die cantigas de amigo zumindest ein ähnliches Thema mit den cantigas de amor teilen—eine oft unerfüllte oder nicht konsumierte Liebe—so sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Songtypen dennoch beträchtlich. Der wohl Gewichtigste ist, dass das lyrische Ich in den cantigas de amigo die Stimme einer Frau ist, die die Abwesenheit oder die Entfernung zu ihrem Geliebten, dem besungenen amigo, betrauert. Der Adressat dieses Liedes kann sowohl der nicht anwesende Geliebte sein, oft sind es aber auch dem lyrisch Ich beistehende Freundinnen oder die Mutter (vgl. Alvar, 2009: 28f.). Die Frau des Liedes „is usually a country maiden who engages in rustic activities like washing her clothes in a stream or dancing under the trees“ (Klinck, 2012: 541); die Szenerie, in denen die Klage geäußert wird ist daher oft „un paisaje natural—nada de ciudades como en las jarchas, o de entornos feudales como en las cantigas de amorrepresentado por el mar, los árboles, fuentes y ciervos, algunas avecillas…“ (Alvar, 2009: 29). Die Natur im Hintergrund ist vor allem deswegen von Bedeutung, da sie einen symbolischen Charakter hat und sich in den Liedern oft immer wiederkehrende Elemente auffinden lassen. Das steigende oder stürmische Meer z.B. lässt sich sowohl in Mendinhos „Sedia-m’eu na ermida de San Simion“, Johan Zorros „Pela ribeira do rio salido“ oder Martin Codaxs „Ondas do mar de Vigo“ wiederfinden und kann sowohl für überw. ltigende Gefühle—auch sexueller Natur—als auch für reale Angst und Gefahr stehen. Dies ist jedoch lediglich der Inhalt eines prototypischen cantiga de amigo; das inhaltliche Spektrum dieses Genres ist breit und beinhaltet z.B. auch Gedichte über Freundschaft, Wiegenlieder oder auch Lieder über die Arbeit von Frauen (vgl. Klinck, 2012: 525ff.).

Wendet man seinen Blick vom Inhalt auf die formellen Elemente der cantigas de amigo, so sind auch hier deutliche Unterschiede zu den cantigas de amor zu benennen. Waren letztere formell äußerst komplex konstruiert und zweifelsfrei der höfischen Literatur zuzuordnen sind, so haben erstere, trotz ihrer gelegentlichen Emulation der lírica culta, dennoch den Ton einer traditionellen, oralen Volkpoesie. Dies liegt nicht nur am oben beschriebenen Inhalt, sondern auch an den Gebrauch bestimmter formeller Mittel wie z.B. „la repetición paralelística o el ritmo reiterativo del leixa-pren. Todo ello construido en estrofas generalmente de menos de cuatro versos, y casi siempre con estribillo“ (Alvar, 2009: 29). All dies verleiht den cantigas de amigo den Eindruck einer

engaging simplicity, reflecting or imitating a tradition that is oral and popular. […] Simple in synax, conventional in vocabulary, these poems can nevertheless reflect considerable artistry, in their melodiousness, their subtly varied incremental repetition, and their evocation of powerful feelings (Klinck, 2012: 541).

Das populäre Element dieser lyrischen Form liegt also vor allem darin, dass es, im Gegensatz zu den cantigas de amor, trotz der gelegentlichen Nähe zur lírica culta, auch Elemente der populären Lyrik absorbiert hat; „la cantiga de amigo sería un ejemplo cercano al primtivo lirismo peninsular“ (Alvar, 2009: 28). Sie sind aber auch insofern Form einer Volkspoesie, da sie zu der gesamten Bevölkerung gehörten

rather than a particular segment of it, like courtly literature, or literature composed in Latin. Leaving aside the difficult question of whether or not we are dealing with provenance in specific cases, we can at least admit that the mode of woman’s song is probably ancient and may be universal (Klinck, 2012: 524).

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
Bibliographie

„ONE BIG WORLD OF SONGS“: ZUR #GALICISCHPORTUGIESISCHEN LYRIK UND EINIGEN TRANSKULTURELLEN ECHOS (IV) #BOBDYLAN #GALICISCHPORTUGIESISCHELYRIK

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von Nils Tremer

 

2.2 Die cantigas de amor

Auch wenn sich die cantigas de amor und die cantigas de amigo in ihrem Hauptthema, der nicht erwiderten (oder nicht ausgelebten) Liebe, gleichen, so sind dennoch beträchtliche Unterschieden zwischen diesen beiden Genre zu nennen. Diese gehen vor allem darauf zurück, dass erstere maßgeblich von den provenzalischen Troubadouren beeinflusst wurde. Diese Art der Dichtung fand am Anfang des 12. Jahrhunderts im Südosten Frankreichs ihren Ursprung und zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die Troubadoure ihre eigenen Texte und Melodien schrieben, die eine äußerst hohe Kunstfertigkeit bewiesen. Sowohl die formale Perfektion der Gedichte sowie die filigrane Vertonung dieser lassen darauf schließen, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der Materie dem Lied vorrausing und ein literarisches Bewusstsein existierte (vgl. Alvar, 2009: 17ff.).

Die cantigas de amor nahmen sich die provenzalische Troubadour-Dichtung zum Vorbild und versuchten, diese nachzuahmen. Thematisch hat das cantiga de amor, wie der Name schon verrät, den Ausdruck der Liebe des Sängers zu einer perfekten Dame zu Grunde. Diese Liebe wird jedoch nicht erwidert—die Dame kann entweder gleichgültig als auch feindselig gegenüber dem Sänger sein—was bei ihm zu Trauer und im schlimmsten Fall zum Tode führen kann. Ob es sich bei den verbalisierten Gefühlen oder der Dame jedoch um reale Größen handelt, ist im cantigo de amor, wie in der höfischen Dichtung im Allgemeinen, schwer zu sagen. Die fehlende oder oft nur spärliche physische eschreibung der Angebeteten und der Fokus auf ihre moralischen Charakterzüge erlauben jedoc zumindest den Schluss, dass es sich bei den Damen eher um Abstraktionen oder Ideale handelt als um reale Personen, die besungen wurden (vgl. ebd., 26f.).

Auch im Hinblick auf die formellen Aspekte folgen die cantigas de amor der provenzalischen Troubadour-Lyrik. Das perfekte cantiga de amor hat keinen Refrain—viele jedoch besaßen jedoch dennoch einen—und „era considerada el mayor exponente de la capacidad técnica de los poetas, máxime si eran capaces de mantener el sentido del texto desde el comienzo hasta el final de la composición, sin interrupciones, a través de versos y estrofas“ (ebd., 27). Wirft man einen Blick über die angesammelten cantigas de amor, so fällt auf, dass sie aufgrund ihrer strengen Form sowie einer dominanten Thematik ein sehr homogenes Genre bilden, das ein hohes Prestige genoss und eindeutig der höfischen Lyrik zuzuordnen ist (vgl. Garcia, 2014: 19f.).

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: „Nothing new under the sun“
2. Galicisch-portugiesische Lyrik im Mittelalter
2.1 Die cantigas de escarnio e maldizer
2.2 Die cantigas de amor
2.3 Die cantigas de amigo
3. Das Fortbestehen des mittelalterlichen Erbes in der Neuzeit
3.1 Die Wiederentdeckung alter Lieder in der Romantik: Literatur
als Träger des Volksgeistens
3.2 Das Mittelalter in der Moderne—ein Paradoxon?
4. Bob Dylan—ein moderner Troubadour?
5. Konklusion
Bibliographie